Oft lese ich den Rat, Katzen bei Streitigkeiten nicht zu trennen. Sie sollen ihre Streitigkeiten stattdessen unter sich ausmachen. Außerdem sei eine zeitweilige, räumliche Trennung nicht gut für die Beziehung zwischen den Katzen. Dieser Rat geht jedoch von falschen Annahmen aus und kann fatal enden. Warum, das möchte ich heute kurz erklären.
Warum der Rat, nicht einzugreifen sofern kein Blut fließt, ebenso problematisch ist, kannst du in einem früheren Blogbeitrag nachlesen.
Wir Menschen zwingen unterschiedliche Katzen zum Leben auf begrenztem Raum
In Mehrkatzenhaushalten entscheiden alleine wir Menschen, welche Katzen ihr gesamtes Leben auf begrenztem Raum miteinander verbringen müssen. Leider ist unser Händchen bei der Auswahl der Partnerkatzen oft alles andere als gut. Da müssen dann Individuen ihr Leben miteinander verbringen, die sich freiwillig niemals zusammen getan hätten. Das alleine ist natürlich schon Ursache für viele Spannungen und Streitigkeiten.
Ist dann auch unsere Haltung und das Beschäftigungsprogramm für die Katzen nicht ideal, wachsen die (unterschwellige) Spannungen von Tag zu Tag. Je nachdem, wie Charakter, Sozialisierung und vergangene Erfahrungen unserer Katzen sind, kann daraus eine explosive Mischung entstehen.
Aber auch im besten Katzenhaushalt kommen Streitigkeiten ab und an vor. Das ist normal und nicht schlimm, sofern der Ausweg aus diesen Streitigkeiten für alle Beteiligten positiv oder wenigstens neutral ausfällt. Aber genau das ist in vielen Fällen nicht der Fall, wenn wir unsere Katzen dabei sich selbst überlassen!
Denn unsere Hauskatzen sind immer noch Raubtiere mit ganz eigenen Bedürfnissen und Instinkten. Die Reaktionen auf Streitigkeiten unter Katzen bestehen aus drei Möglichkeiten: Flucht, Erstarren oder Aggression.
Flucht und Erstarren sind in der Wohnung kaum erfolgversprechend
Flucht ist in einer Wohnung nur begrenzt bis gar nicht möglich. Gibt es wenig katzengerechte Rückzugsorte mit mehreren Auf- und Abstiegswegen ist diese Angst-Reaktion nicht erfolgversprechend. Erst recht nicht, wenn die andere Katze einfach hinterherläuft und weiter streitet.
Ob die Partnerkatze das tut, hängt von ihrem Charakter, ihrer Sozialisierung und vielen anderen Faktoren ab – zum Beispiel auch ihren Erfahrungen in der Vergangenheit: hat sie gelernt, dass sie damit bereits einmal „Erfolg“ hatte, wird sie es in Zukunft wieder tun. Und das schon bei den kleinsten Anlässen. „Rumstänkern“ kann dann auch einfach eine Idee gegen Langeweile werden.
Aber auch die Flucht-Reaktion der angegriffenen Katze löst in ihr selbst eine Lernerfahrung aus: „Ich kann fliehen, wohin ich will, ich bin nirgendwo sicher„. Sie wird in Zukunft also immer nur noch unsicherer. Solche Katzen sind dann typischerweise diejenigen, die über Jahre auf dem Schrank, unter dem Sofa oder dem Bett wohnen und sich weigern, ihr sicheres Versteck zu verlassen. Der entgegengesetzte Weg für die ständig angegriffene Katze besteht in der „vorsorglichen Aggression“: Schon beim kleinsten Anlass geht sie hoch wie eine Rakete, faucht, kreischt oder verprügelt alles in Reichweite. Dabei ist sie dann nicht „übersensibel“, sondern verhält sich einfach so, wie sie es gelernt hat.
Das Gleiche gilt entsprechend beim Erstarren als Angstreaktion: Nur dann, wenn das Gegenüber ablässt, kann das ein Ausweg aus einem Streit sein. Die erstarrte Katze lernt aber zukünftig, sich bei Gefahr oder Angst einfach „tot zu stellen“. Nach außen sieht das harmlos aus, innendrin brodelt aber massiver Stress, extreme Angst und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Bombe platzt.
Bald braucht es nur noch winzige Auslöser, damit es zwischen den Katzen richtig eskaliert! Auch das ist ein Grund, vor einer Eskalation einzugreifen und zu trennen! Ist diese Spirale erst einmal gelernt, wird es ungeheuer schwierig bis unmöglich, den Katzen dort hinaus zu helfen.
Aggression als einziger Ausweg – und Lernerfahrung
So ist (defensive) Aggression in den meisten Fällen im Mehrkatzenhaushalt für die Katzen die einzige Möglichkeit, mit einem Streit umzugehen. Mit all den negativen Folgen – auch für die Zukunft. Unsere Katzen setzen sich nicht zu einem gemeinsamen Tee an den Tisch und diskutieren Meinungsverschiedenheiten sachlich aus! Sie sind Raubtiere, die Revier, Ressourcen und körperliche Unversehrtheit verteidigen müssen – und zwar mit den „Waffen“, die sie haben.
Je mehr ernsthaften Streit es gibt, umso vergifteter das Zusammenleben der Katzen. Denn die Tiere lernen nur in seltenen Fällen, wie sie Streit alleine lösen können. Das wäre nur in einer perfekten Welt mit einer perfekten Katzen-Konstellation und einer perfekten Haltung der Fall – vorausgesetzt, die Katzen haben bereits gelernt, wie man Streitigkeiten friedlich löst. Aber woher sollen sie das lernen, wenn wir sie dabei nicht begleiten? Wie sollen sie das lernen, wenn wir zulassen, dass sie ständig negative Erfahrungen mit ihrer Partnerkatze machen – und so alte, positive Erfahrungen „überschrieben“ werden?
Wir Menschen zwingen sie zum Zusammenleben, oft unter widrigen Umständen. Warum dann noch unnötigerweise zu negativen und traumatischen Erfahrungen zwingen?
Trennen nicht als Strafe, sondern Unterstützung verstehen
Trennen wir die Katzen vor einer Eskalation ist das keine Strafe! Niemand hat „Schuld“, so denken Katzen nicht. Stattdessen gewähren wir ihnen Zeit und Raum zum Durchatmen. Zum Runterkommen, zum De-Eskalieren, bevor alles hochkocht. Zum „Sortieren“ ohne durch die Mitkatzen bedrängt, bedroht und eingeschränkt zu werden. Um sich wieder sicher zu fühlen und Wut und Angst vorbei gehen zu lassen. Sozusagen als Verschnaufpause für alle Beteiliten zum „Runterkommen“. Wer diese Zeit hatte, kann später ganz anders – hoffentlich neutraler – mit der Mitkatze umgehen.
Wer diese Zeit nicht hatte und weiterhin bedrängt, bedroht und belästigt wird, rastet irgendwann komplett aus und kann der Mitkatze nicht mehr neutral begegnen. Weder die angreifende, noch die angegriffene Mitkatze haben etwas vom zwangsweisen „Aufeinander-Hocken“! Es brodelt innerlich weiter und feuert die Spannungen zwischen den Katzen an.
Das Einzige, das die Katzen daraus lernen ist, dass die Mitkatze ein rotes Tuch, ein Aggressor oder ein willkommener Prügelknabe ist. Dass Aggression die einzige Lösung für Streitigkeiten ist und dass man besser zu einem früheren Zeitpunkt anfängt zu streiten – denn man will ja nicht beim Streit unterliegen und wichtige Ressourcen aufgeben müssen. Dass das eigene Zuhause unsicheres Terrain ist, wo man ständig auf der Hut sein muss.
Und je mehr dieser negativen Erfahrungen die Katzen miteinander haben, umso schwieriger wird es, wieder eine neutrale Beziehung zu etablieren. Negative Erfahrungen werden nämlich ebenso gespeichert und erlernt wie positive! Wer lernt, sich zurück ziehen zu können, das Gegenüber sich zurückziehen zu lassen, kann mit Konflikten zukünftig anders umgehen. Oder weiß zumindest, dass er zuhause sicher ist.
Trennen ist kein Neustart oder Unterbrechung der Katzenbeziehung!
Haben Katzen für ein paar Stunden oder Tage keinen Kontakt, startet die Katzenbeziehung nicht neu und wird auch nicht unterbrochen! Auch bei der Zusammenführung ist das nicht der Fall! Katzen haben ein Gedächtnis, speichern Erinnerungen und lernen ihr Leben lang – das ist auch der Grund, warum „Nicht-Trennen“ bei ernsthaften Konflikten problematisch ist.
Katzen können sich über Jahre merken, mit wem sie welche Erfahrungen gemacht haben – positiv wie negativ. Traumatische Erlebnisse wie schlimme Streitigkeiten hinterlassen dabei die größten und nachhaltigsten seelischen Wunden.
Wäre es nämlich tatsächlich so, dass nach einer tageweisen Trennung die Beziehung zu anderen Lebewesen neu startet, könnten wir mit diesem simplen Trick jedwede schlechte Katzenbeziehung wie von Zauberhand in ein rosa Zuckerwatte-Land verwandeln – einfach nur oft genug die Tür öffnen und wieder schließen. Jedwede negative, angstauslösende Erfahrung wäre wie weggeblasen, wenn unsere Katze nur ein paar Tage nicht mit negativen Reizen konfrontiert wird. Für alle unter uns, die Angstkatzen haben, wäre das die Lösung aller Probleme!
Allerdings würde das auch bedeuten, dass wir nach einem zweiwöchigen Urlaub eine Katze zuhause antreffen würden, die uns gar nicht mehr kennt. Oder die nach wenigen Tagen ohne Training jegliche Trainingsfortschritte vergessen hätte. Die ein halbes Jahr nach dem Besuch in der Tierklinik plötzlich keine Angst mehr davor hat – sie weiß ja schließlich nicht mehr, was hier in der Vergangenheit passiert ist.
Katzen löschen ihr Gedächtnis aber nicht, weil wir eine Tür schließen. Und schon gar nicht selektiv: die Mitkatze vergesse ich, aber nicht meinen Menschen, nicht meine Lieblingstricks und nicht, was mir vielleicht einmal Angst gemacht hat. So funktionieren Erinnerungen nicht!
Die Trennung bewirkt lediglich ein paar Stunden oder Tage Ruhe und Sicherheit vor Konflikten.
Trennen allein reicht manchmal nicht – Streit ist nur ein Symptom
So wenig wie „die machen das schon“ eine sinnvolle Lösung bei Streitigkeiten ist, ist „Trennen“ das Allheilmittel. Denn bei wirklich ernsthaften oder wiederkehrenden Streitigkeiten ist es nur ein Anfangspunkt, um die Beziehung der Katzen nachhaltig zu verbessern.
Denn hinter solchen Streitigkeiten stecken immer Ursachen, die wir erst abstellen müssen, damit unsere Katzen sich eben nicht immer streiten. Das kann bedeuten, dass wir alle betroffenen Katzen tierärztlich untersuchen lassen oder unsere Haltung, die Wohnungseinrichtung oder das Beschäftigungsprogramm unserer Katzen anpassen müssen. Nur in selteneren Fällen reicht eine Verschnaufpause durch Trennen allein aus.
Schließlich entstehen Streitigkeiten nicht im leeren Raum – genau so wenig lösen sich sich einfach durch „Nichtstun“ in Luft auf. Wir Menschen haben die Verantwortung und müssen zum Wohle unserer Katzen handeln! Sie sich selbst zu überlassen ist die denkbar schlechteste Möglichkeit!
Verhaltens- & Ernährungsberaterin für Katzen, Bloggerin
Miriam steht für die artgerechte Katzenhaltung. Mit ihrem Herzensprojekt katzen-fieber.de sensibilisiert sie seit über 13 Jahren für kätzische Bedürfnisse. Mit Online-Magazin, Vorträgen, Webinaren und Büchern vermittelt sie einfach verständliches Wissen. Individuelle Beratung rundet das Konzept ab. Für ein harmonisches Zusammenleben zwischen Mensch und Katze!