Wenn Tierliebe zum Problem wird – zwischen goldenem Käfig und Vermenschlichung

Valtentinstag ist für viele Menschen der Tag der Liebe. Und wir empfinden nicht nur Liebe zu unseren Partnern, unserer Familie und unseren Freunden. Auch unsere Haustiere haben wir fest in unser Herz geschlossen. Nicht immer ist das für sie nur positiv. Darum nehme ich mir den heutigen Valtentinstag Zeit, auch mal über die unschönen Seiten der Tierliebe zu schreiben.

Nicht nur die krassen Fälle zählen

Denken wir an grenzüberschreitende oder falsche Tierliebe, fallen uns allen wahrscheinlich vor allem die ganz krassen Fälle ein:

  • Animal Hording
  • Überzüchtung / Qualzucht
  • Haustiere als Partner- oder Kinderersatz
  • Tiere als Ankleidepüppchen oder Modeaccessoires

Darauf werden wir in regelmäßigen Abständen vor allem von Tierschutzorganisationen aufmerksam gemacht. Zu Recht. Meiner Meinung nach werden dabei aber die "milderen", fast schon alltäglichen Facetten vergessen. Facetten, die vielen Haustieren den Alltag ebenso schwer machen können.

Bedürfnisse sind nicht verhandelbar

Schaffen wir uns ein Haustier an, sollten wir uns natürlich erst einmal mit seinen Bedürfnissen befassen. Denn diese Bedürfnisse sind da, ob wir sie erfüllen können und wollen ‐ oder nicht. Wer schon im Anfang bemerkt, dass er die Grundbedürfnisse nicht erfüllen kann, sollte lieber die Finger von Haustieren lassen.

Schließlich sind soziale Nähe, Hunger, Spieltrieb und (körperliche und seelische) Gesundheit nichts, über das man verhandeln kann. Auch dann nicht, wenn wir selbst nur wenig Zeit, Platz oder Geld haben. Es ist das Gegenteil von Tierliebe, wenn wir unserem Schützling etwas vorenthalten, nur weil es uns selbst nicht so gut geht oder wir schlicht bequem sind.

Anschaffung entgegen den gesunden Menschenverstand: kein Platz, kein Geld, keine Zeit…

Jeder von uns kann unverschuldet in eine Phase rutschen, in der es finanziell nicht ganz so rosig aussieht. Oder nicht genug Zeit oder Platz da ist. So ist das Leben nun einmal. Kein Grund, sich zu schämen. Es bleibt dann nur leider oft nicht aus, dass unser Haustier so manches Mal darunter leidet. Das ist schon schlimm genug, wenn wir bereits ein Haustier halten und wissen, diese Phase geht vorbei.

Weitaus schlimmer ist es doch, wenn wir uns in einer solchen Phase erst dafür entscheiden, ein Haustier zu uns zu holen. Oder wissen, dass diese Phase längerfristig oder gar dauerhaft ist. Dann sind Abstriche nicht mehr nur ein notwendiges temporäres Übel, sondern von vornherein einkalkuliert. Dann ist "Verzicht" ‐ zeitweise oder ganz ‐ definitiv das Einzig tierliebe.

Überfütterung ist keine Liebe

Untersuchungen zufolge sollen viele Haustiere unter Übergewicht leiden ‐ ohne, dass es dem Halter bewusst ist. Einer der Faktoren der zu Übergewicht führt, ist schlicht Überfütterung. Und zwar nicht nur aus Unwissenheit, sondern auch als Kompensation von falsch verstandener Tierliebe oder schlechtem Gewissen.

Zu viel Futter ersetzt aber keine gemeinsame Zeit, keine artgerechte Haltung und keine echte Zuneigung. Vor allem führt es zu gesundheitlichen Folgeschäden, die dem Tier den Alltag schwer machen und die Lebensdauer verkürzen.

Vermenschlichung ersetzt keine Kenntnisse in Verhalten und Haltung

Zwar haben Tiere die gleichen Grundbedürfnisse wie wir Menschen, sie drücken sie jedoch oft gänzlich anders aus. Auch die Art, diese Bedürfnisse artgerecht zu stillen, kann anders sein. In solchen Fällen nur aus rein menschlicher Sicht zu interpretieren und zu reagieren kann in die falsche Richtung führen. Nicht immer muss das dazu führen, dass unsere Haustiere schlimm leiden, oft jedoch reagieren wir bei Vermenschlichung an ihren Bedürfnissen vorbei. Auch das kann Leid erzeugen.

Wer beispielsweise denkt, Unsauberkeit sei nur ein Zeichen von "Protest", übersieht viele Chancen der Katze Schmerzen, Unwohlsein und im schlimmsten Fall gesundheitliche Folgeschäden zu ersparen.

Wenn der Abschied herausgezögert wird

Tod und Sterben sind heikle Themen. Dennoch sollten wir uns als Halter frühzeitig damit auseinander setzen. Denn Haustiere leben nun einmal nicht so lange wie wir. So ist es unausweichlich, dass wir uns irgendwann auch einmal für immer von unserem Haustier verabschieden müssen. In manchen Fällen ist dann die Euthanasie unumgänglich. Die große Frage ist dabei das "Wann?". Und genau hier wirds problematisch, wenn wir unseren Fokus zu sehr auf uns selbst und nicht auf den Gesundheitszustand des Tieres legen.

Die Frage nach dem Verlust, dem Vermissen, der Trauer darf erst nach der Frage zum Wohl des Tieres gestellt werden. Schließlich sollte und darf das Tier nicht länger leiden, nur weil wir uns vor dem Abschied fürchten.

Teure Entscheidungen sind nicht pauschal zu viel

Außenstehende sind oft schnell dabei übertriebene Tierliebe zu unterstellen, wenn es um teure Anschaffungen oder Ausgaben geht: der teure Kratzbaum, das teure Futter oder die notwendige medizinische Behandlung. Dabei ist nicht zwangsläufig die Frage nach dem Preis, sondern der Notwendigkeit, der Logik ausschlaggebend. Manchmal ist "Wer billig kauft, kauft zweimal" eben einfach nur zutreffend.

Eine Grenze überschreiten wir dann, wenn für die menschlichen Familienmitglieder kein Geld mehr da ist. Wenn sie nicht satt werden oder wegen falscher Kleidung frieren. Wenn wir die Miete, die Energiekosten nicht mehr decken können und falsche Prioritäten ins finanzielle Desaster führen. Kurz: Wenn zwar Geld für das Tier, aber nicht mehr genug für den menschlichen Alltag übrig ist.

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Bevor der gesunde Mittelweg verloren geht: Hilfe suchen oder anbieten

Wir selbst merken oft gar nicht, wenn sich unsere Prioritäten zusehens verschieben. Schließlich stecken wir selbst einfach zu tief drin. Da ist es wichtig, jemand Außenstehenden zu haben, der auch einmal schmerzhaft ehrlich mit uns ins Gericht geht. Einen vertrauten Menschen, der mit Bedacht und Empathie auf das aufmerksam macht, was uns selbst und unserem Haustier schadet. Wir selbst dürfen uns aber auch nicht zu fein sein, diese gut gemeinte Kritik anzunehmen ‐ sofern sie denn begründet ist.

Ebenso sollten wir als Außenstehender Hilfe anbieten wenn wir merken, dass es bei einer uns nahestehenden Person droht, aus dem Ruder zu laufen. Oft lassen sich Dinge einfacher und schneller bewegen, wenn sie noch nicht so festgefahren sind. Manchmal hilft auch einfach ein offenes Ohr, ein wenig Gesellschaft oder Unterstützung im Alltag, damit Betroffene sich nicht allein fühlen. Auch das kann bereits viel wert sein.

Hilfestellen für Betroffene und ihre Unterstützer können breit gefächert sein:

  • Tierarzt / Verhaltensberater
  • Psychotherapeut / Telefonseelsorge / sozialpsychiatrischer Dienst / Selbsthilfegruppen
  • Schuldnerberatung / "Die Tafel" / Tiertafel
  • Diakonie / Caritas / soziale Einrichtungen
  • Veterinärämter / Ordnungsamt

Manchmal ist "Abgabe" der einzige Ausdruck von Tierliebe, den wir noch umsetzen können

Auch, wenn es für den Menschen hart ist, kann die Abgabe des geliebten Haustieres ein letzter Liebesbeweis sein. Wer dauerhaft nicht in der Lage ist, Bedürfnisse zu befriedigen oder medizinisch notwendige Behandlungen durchführen zu lassen, muss sich ehrlich eingestehen, dass dies dem Wohl des Tieres im Wege steht. Wenn auch Hilfe von außen keine Besserung bringt und das Tier leidet, ist es woanders besser aufgehoben.

Wir sollten nicht aus egoistischen Motiven an etwas festhalten, das ebenso wie wir ein Recht auf ein erfülltes Leben hat. Die Angst vor dem Leben im Tierheim ist dabei nicht selten auch unbegründet: Heutzutage bemühen sich viele Tierheime um bestmögliche Unterbringung. Besser ein räumlich eingeschränktes Leben in dem alle Bedürfnisse erfüllt werden, als krampfhaftes "Festhalten" in ungesunden Strukturen.

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