Stell dir vor, du entdeckst in deinem Garten einen unbekannten, unkastrierten teuren Rassekater. Er ist völlig verängstigt, offensichtlich hilflos und kennt sich hier sichtlich nicht aus. Du hast Angst um ihn, denn direkt wenige Meter weiter ist eine große Straße und eine Autobahn. Glücklicherweise scheint er vollkommen unverletzt. Das ist gut für ihn, aber schlecht für dich. Denn ab diesem Punkt beginnt für dich eine fünfstündige Odyssee, das Tier sicher unterzubringen. Die zuständigen Stellen bei dir weigern sich nämlich, ihn jetzt zu versorgen.
Auf der Suche nach Hilfe für das Tier wirst du abgewiesen, ausgelacht und dir wird gesagt, du sollst ihn einfach wieder aussetzen. Eine Chronologie der Enttäuschungen.
Persönlicher Erfahrungsbericht
Du vermutest: ein ausgebüchster Wohnungskater
Nachdem du ihn entdeckt hast, brauchst du erst einmal einige Zeit, um den Kater unter gutem Zureden aus seinem Versteck hervorzulocken. Schließlich möchtest du gern wissen, wen du da vor dir hast und ob das Tier äußerliche Verletzungen hat. Er scheint äußerlich unverletzt und gepflegt, aber enorm verunsichert. Er schmiegt sich ängstlich miauend an dich, flüchtet jedoch bei jedem Geräusch und jeder unvorhergesehenen Bewegung zurück in sein Versteck.
Weil du dich mit Katzen auskennst, weißt du auch, dass gepflegt und unverletzt aussehen erstmal gar nichts sagen. Weder darüber, ob das Tier tatsächlich unverletzt ist, noch ob es Wohnungstier, Freigänger oder Streuner ist. Denn es gibt gepflegte Streuner und ungepflegte Freigänger. Einzig sein Verhalten lässt Rückschlüsse zu, dass er vertrauten Kontakt zu Menschen gewohnt ist, aber zumindest die Umgebung hier nicht kennt.
Du siehst, dass er ein teurer Rassekater ist – und seine Rückseite zeigt deutlich: Er ist zudem auch unkastriert. Einen Chip kannst du nicht ertasten. Das alles und die Tatsache, dass deine Stadt seit fünf Jahren eine Kastrations-, Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Freigänger hat, lässt dich vermuten, dass er ein ausgebüchster Wohnungskater ist, der vielleicht gerade irgendwo schmerzlich vermisst wird.
Nirgendwo vermisst gemeldet, aber in gefährlicher Umgebung
Mittlerweile wird der Kater in deiner Anwesenheit ein klein wenig mutiger und geht Schritt-für-Schritt weiter Richtung Gartentor. Und damit Schritt-für-Schritt Richtung vielbefahrener Straße und Autobahn. Dich überkommt Angst, dass dem Kater etwas Schlimmes passiert. Also nimmst du all deinen Mut zusammen und setzt ihn in die zwischenzeitlich geholte Transportbox deiner eigenen Katzen. Jetzt ist der kleine Kerl erstmal in Sicherheit – Zeit, sich um alles weitere zu kümmern.
Du durchforstest also zuerst Tasso, Findefix, social media und sämtliche Kleinanzeigen-Portale nach passenden Suchmeldungen: Nichts. Auch die Nachbarn, die du ansprichst, kennen das Tier nicht und wissen auch nicht, woher es eventuell kommen könnte. Nirgendwo in der Umgebung hängen Suchzettel. Also durchatmen. Denn es besteht immer noch die Möglichkeit, den Kater ins Tierheim zu geben, damit er dort sicher aufgenommen und in Ruhe nach seinen Menschen gesucht werden kann.
Fundtier-Vereinbarung und Notfallschlüssel sollen Unterbringung sicherstellen
Du weißt nämlich, dass das Tierheim in deiner Stadt einen Vertrag zur Versorgung von Fundtieren mit der Stadt hat. Zwar ist das Tierheim derzeit geschlossen, aber die Tierrettung hat einen Notfallschlüssel, um auch außerhalb der Öffnungszeiten Fundtiere sicher unterzubringen. Das sagt auch die Website des Tierheims und gibt dir sogar die Durchwahl für die zuständige Polizei, welche die Tierrettung informieren kann.
Also rufst du zunächst bei der Polizei an – sicher, dass man dem Tier helfen wird. Was du erntest, sind spöttische Sprüche von oben herab, die Polizei wäre für sowas nicht zuständig und woher du überhaupt diese Nummer hättest. Irritiert antwortest du, dass die Tierheim-Website die Nummer angibt und du wüsstest, dass die Tierrettung Notfallschlüssel hat. Stocken am anderen Ende der Leitung. Dann abfälliges Lachen. Die Tierrettung würde grundsätzlich keine Katzen von der Polizei übernehmen. Du sagst, du wüsstest, dass das nicht stimmt.
Also entgegnet die Beamtin sehr schroff, du könntest ja selbst die Tierrettung anrufen – du würdest ohnehin niemanden mehr erreichen. Damit ist das Gespräch auch beendet. Ernüchtert und sehr wütend versuchst du selbst bei der Tierrettung anzurufen. Und tatsächlich, die Beamtin hat recht: bei der Tierrettung ist Niemand erreichbar.
Bedrohungen und Streitigkeiten wegen Freigängern schrecken vor schneller Versorgung ab
Du versuchst also die Tierschutzvereine in deiner Umgebung zu erreichen. Eine Person geht ans Telefon und rät dir, das Tier erstmal über die nächsten Tage zu beobachten. Wenn es nicht wieder käme, hätte es bestimmt nach Hause gefunden. „Oder eben die nahe gelegene Autobahn“, entgegnest du. Das tut der Person am anderen Ende der Telefonleitung auch leid, aber sie hätten in der Vergangenheit so viele Bedrohungen und rechtliche Streitigkeiten wegen Freigängern gehabt – daraus hätten sie „gelernt“ und würden jetzt immer erst ein paar Tage beobachten.
Du rufst eine Bekannte aus dem Tierschutz an. Sie rät dir, das Tier selbst zum Tierheim zu fahren und dort zu warten, bis jemand vor Ort ist und den Kater übernehmen kann. Das hört sich für dich absolut logisch an, denn die Tierrettung kann sich in der Zeit um wichtigere Dinge kümmern, niemand muss extra rauskommen – aber irgendjemand muss die Tierheimtiere ja auch außerhalb der Öffnungszeiten versorgen. Und außerdem – so wird dir gesagt – sei der Hausmeister fast immer vor Ort und hätte auch Zugang zu den Räumlichkeiten des Tierheims.
Die Tierheimtür bleibt zu – den Kater einfach wieder aussetzen?
Gesagt, getan. Du stehst also mit dem Tier im Transportkorb vor dem Tierheim. Es sind auch noch andere Autos da, also klingelst du zunächst. Niemand macht auf. Du rufst beim Tierheim an und hinterlässt deine Nummer für einen Rückruf. Dann entdeckst du am geschlossenen Tierheimtor den Hinweis, außerhalb der Öffnungszeiten sei die Polizei zu verständigen. Also versuchst du es noch einmal. Jetzt ist die Situation schließlich etwas anders und möglicherweise erwischst du auch ein Gegenüber, das nicht so unfreundlich ist.
Und tatsächlich: der Beamte am Telefon ist bemüht. Er erklärt dir, dass er die Tierrettung informiert und sich gleich zurück meldet. Glücklicherweise tut er das wirklich. Hat aber schlechte Nachrichten: eine unverletzte Katze wird die Tierrettung nicht außerhalb der Öffnungszeiten ins Tierheim bringen. Auch nicht dann, wenn du bereits vor der Tierheimtür stehst. Auf die rhetorische Frage, ob man das Tier jetzt verletzen müsse, damit es aufgenommen wird, folgt Stille am anderen Ende der Leitung. Nichts zu machen. Die Tierrettung rate laut seiner Aussage, du solltest den Kater einfach wieder dort aussetzen, wo du ihn gefunden hast. Er fände schon wieder selbst nach Hause. Es tut dem Beamten hörbar leid, dass er keine andere Antwort für dich hätte.
Du kommst hier also tatsächlich nicht weiter.
Eine ehrenamtliche Pflegestelle als Rettung
Ein letztes Ass hast du noch im Ärmel: eine befreundete Katzenschützerin mit Kontakten ins gesamte Bundesgebiet. Sie verspricht, ihre Kontakte zu mobilisieren und sich zurück zu melden.
Dir wird langsam klar: um diesen Kater musst du dich jetzt wahrscheinlich erstmal allein kümmern. Zumindest so lange, bis das Tierheim morgen Mittag wieder geöffnet hat – denn dann nehmen sie ihn hoffentlich wirklich auf. Du überlegst, wie und wo du ihn unterbringen kannst. Zuhause bei dir gehts nicht und auch alle anderen rundherum können ihn nicht aufnehmen. Also bleibt eigentlich nur das Gartenhaus. Du machst dich bereits daran, es katzensicher und gemütlich zu machen. Da klingelt dein Handy, eine unbekannte Nummer:
„Wo seid ihr und wo kann ich ihn abholen?“. Du musst fast weinen so erleichtert bist du. Endlich mal jemand, der helfen will! Innerhalb von Minuten ist alles geklärt und du bringst den Kater in eine ehrenamtliche Pflegestelle. Dort wird er liebevoll empfangen und versorgt. Natürlich schaut die Pflegestelle zuerst nach einem Chip: beim Abtasten konntest du zwar keinen finden, aber ein Chip-Lesegerät findet mehr als deine Hände. Zumindest, wenn ein Chip da ist. Es zeigt sich: der Kater hier ist weder kastriert, noch gechipt. Und das in einer Stadt, die eigentlich beides für Freigänger vorschreibt.
Mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass der Kater endlich gut versorgt und sicher ist, kannst du beruhigt nach Hause fahren. Fünf Stunden aufwühlende Hilfesuche sind nun vorbei.
Im Rückblick ganz viel Ernüchterung
Die Pflegestelle hält dich auf dem Laufenden: Sie bringt den Kater am nächsten Tag zu den Öffnungszeiten ins Tierheim. Denn selbst sie und ihre erfahrenen Mitstreiter*innen fühlen sich für die langfristige Unterbringung dieser herausfordernden Rasse nicht ausreichend ausgerüstet. Die Eigentümerin holt ihn noch am selben Tag im Tierheim ab – unkastriert und ungechippt wie er ist.
Knapp einen Monat später hast du übrigens immer noch keinen Rückruf vom Tierheim. Und der Kater? Der trägt seine auffallend großen „Juwelen“ immer regelmäßiger und vor allem mutiger durch die angrenzende Nachbarschaft…
nachträgliche Recherche
Nachgefragt: Tierheim verteidigt Vorgehensweise
Bei der Recherche zu diesem Fall habe ich das Veterinär- bzw. Ordnungsamt und die Pressestelle der zuständigen Stadt um Einschätzung gebeten. Sie alle haben nicht geantwortet. Das zuständige Landesamt für Umwelt-, Natur und Verbraucherschutz hat zwar geantwortet, wollte / konnte aber keine konkrete Stellungnahme abgeben.
Die Tierheimleitung des betreffenden Tierheims bestätigte mir gegenüber, dass das Tierheim vertraglich dazu verpflichtet sei, die Unterbringung und Versorgung von Fund- und Sicherstellungstieren in der betreffenden Stadt zu gewährleisten. Die Tierrettung hätte von ihnen den Auftrag, Hunde grundsätzlich abzuholen, da von ihnen eine Gefahr ausginge. Katzen und Kleintiere sollten nur dann abgeholt werden, wenn sie sichtlich krank, verletzt oder verunfallt aussehen.
Es wäre laut Tierheimleitung sinnvoll gewesen, das Tier erstmal nur zu beobachten und am nächsten Tag ins Tierheim zu bringen. Denn es sei nicht auszuschließen, dass eine munter aussehende und wohlgenährte Katze wieder nach Hause findet. Mir gegenüber wurde angegeben, die Finderin hätte sich über Facebook-Messenger mit dem Tierheim in Kontakt befunden – dies stimmt jedoch nicht. Ich habe dies in meiner Antwortmail (28.06.2023) richtig gestellt. Auch weiß die Tierheimleitung mittlerweile, dass trotz hinterlassener Telefonnummer nie Kontakt zur Finderin aufgenommen wurde.
Eine Antwort darauf erhielt ich bis heute nicht. Auch nicht auf meine Frage, wie dieser Verlauf mit dem Ziel des Katzenschutzes vereinbar wäre und wer haftet, falls das Tier in Obhut der Finder*in Schäden verursacht oder selbst zu Schaden kommt. Auch nicht auf die Tatsache, dass sich das Ganze in direkter Nähe zu einer Autobahn abgespielt hat und tatsächlich niemand das Tier hätte „abholen“, sondern nur in Empfang nehmen müssen. Es erfolgte keinerlei Rückmeldung mehr.
Die Recherche zeigt: kein Einzelfall
Meine Recherche hat weiterhin ergeben, dass dies kein Einzelfall ist: Es scheint an vielerlei Stellen Probleme im Umgang mit Fundkatzen zu geben – obwohl die rechtliche Lage eigentlich eindeutig ist. Aber dazu im nächsten Abschnitt mehr.
So scheint es in der Stadt Stade beispielsweise ebenfalls ein Problem mit der Fundkatzen-Versorgung durch die Stadt zu geben. In der Samtgemeinde Fredenbeck scheinbar sogar wiederholt. Auch für Hettstedt, Bassum, Neustrelitz, Reiskirchen und eine Gemeinde in Hessen konnte ich nach nur wenigen Minuten Suchmaschinen-Suche öffentlich gemachte Probleme finden. Auch Gerichte in Gießen (z. B. hier, hier oder hier), Münster, Mecklenburg-Vorpommern, Ansbach, Niedersachsen, Göttingen, Koblenz, Stuttgart, im Saarland und in Regensburg haben sich in der Vergangenheit schon mit ähnlichen Problemen befasst. Dabei ist diese Auflistung nur eine kleine Auswahl.
Viele Tierschützer*innen, mit denen ich im Nachgang dazu gesprochen habe, haben nur seufzend bestätigt: Das Problem scheint im Tierschutz sehr bekannt zu sein. Und viele sind sehr unglücklich damit.
Die rechtliche Lage bei Fundtieren
Fundanzeige ist Pflicht – Aufbewahrung durch die Gemeinde aber auch!
Wer eine Katze findet, ist gesetzlich dazu verpflichtet, das der zuständigen Stadt oder Gemeinde zu melden (§ 965 BGB). Wer dies nicht tut, begeht Fundunterschlagung (§ 246 StGB). Zudem kann er rechtlich gesehen ohne Fundanzeige nie das Eigentum am Fundtier erwerben (§ 973 BGB).
Paragraph 967 BGB besagt, dass der Finder verpflichtet werden kann, das Tier bei den zuständigen Stellen abzuliefern. Er schreibt aber ebenso vor, dass der Finder dazu berechtigt ist, die Fundsache – in dem Fall eine Fundkatze – bei der zuständigen Stelle abzugeben. Die Gemeinde ist also entsprechend dazu verpflichtet, Fundtiere aufzunehmen!
Das sagt auch Punkt 5.1 der „Erlass zur Ordnungsbehördliche Behandlung von Fundsachen“ für NRW (dort liegt die Stadt, in der das Tier gefunden wurde):
Ob die Gemeinde dabei selbst für die Aufbewahrung sorgt oder – wie hier – vertragliche Vereinbarungen mit einem ansässigen Tierheim oder Tierschutzverein hat, ist unterschiedlich. So wie auch für NRW haben unterschiedliche Bundesländer entsprechende Erlasse bzw. Empfehlungen veröffentlicht, zum Beispiel:
- Baden-Württemberg (.pdf-Download)
- Bayern: Kostentragungspflicht (.pdf-Download), Aufwendungsersatz durch die Gemeinden (.pdf-Download)
- Sachsen (.pdf-Download)
- Mecklenburg-Vorpommern
- Brandenburg
- Niedersachsen
- Hessen
- Rheinland-Pfalz
- Sachsen-Anhalt
- Schleswig-Holstein (.pdf-Download)
Wichtig: Fundanzeige vor jeglicher Versorgung – auch im Notfall!
Vor der (auch tierärztlichen) Versorgung einer Fundkatze, sollte unbedingt eine Fundanzeige bei Gemeinde / Stadt, Ordnungsamt oder Polizei erfolgen! Auch dann, wenn die tierärztliche Versorgung dringend ist! Andernfalls kann die Gemeinde die Kostenübernahme verweigern – Folge: Finder*in bleibt auf den Kosten sitzen! (siehe z. B. BVerwG 3 C 5.16) Die Kostentragungspflicht beginnt zudem in der Regel erst, wenn das Fundtier auch wirklich der entsprechenden Gemeinde übergeben wurde.
Zahlreiche Ausreden, um die Verantwortung abzulehnen
Schwierigkeiten ergeben sich scheinbar auch immer wieder daraus, dass zuständige Gemeinden abblocken, weil sie die Meinung vertreten, die aufgefundenen Katzen seien „herrenlos“ oder „wild“. Oder auch: der Finder sei durch Füttern oder Versorgen des Fundtieres sein neuer Eigentümer geworden. Und die Gemeinde damit per se nicht zuständig.
Verschiedene Gerichte haben in der Vergangenheit aber wiederholt festgestellt, dass Streunerkatzen als ehemalige Haustiere keine „wildlebenden Tiere“ (§960 BGB, vgl VG Stuttgart – 4 K 29/13, VG Münster – 1 L 1290/15, OVG Nordrhein-Westfalen – 5 B 1265/15) und draußen herumlaufende Katzen nicht automatisch herrenlos (siehe auch Fundtierrecht Bundesgesetzgebung) sind. Denn um „herrenlos“ zu sein, dürfte das Tier vorher niemandem gehört haben – oder der Mensch sein Eigentumsrecht am Haustier rechtlich einwandfrei aufgegeben haben (vgl §959 BGB). So lange das nicht mit Sicherheit bewiesen werden kann, ist laut verschiedener Gerichte von einer Fundsache auszugehen (vgl OVG Mecklenburg-Vorpommern – 3 L 272/06, VG Stuttgart – 4 K 29/13, VG Münster – 1 L 1290/15, OVG Nordrhein-Westfalen – 5 B 1265/15)
Aussetzen und Zurücklassen sind laut Tierschutzgesetz (§3 Punkt 3) strafbar. Damit ist auch eine Eigentumsaufgabe dadurch rechtlich nichtig (§134 BGB, siehe auch: BVerwG 3 C 24.16). Somit bleibt auch ein Eigentümer der sein Tier aussetzt, rechtlich immer noch Eigentümer – das Tier damit nicht herrenlos.
Laut §958 BGB kann ein Finder zudem auch gar nicht so einfach Eigentümer des Fundtieres werden, weil es erstens nicht zwingend herrenlos ist und zweitens §976 BGB dem entgegensteht. Erst dann, wenn sechs Monate nach der erfolgten Fundanzeige der eigentliche Eigentümer das Tier nicht zurückverlangt, kann der Finder überhaupt neuer Eigentümer werden. Dazu muss er dies jedoch ausdrücklich verlangen – oder zumindest nicht widersprechen (§976 BGB). „Einfach so“ durch einmaliges Anfüttern oder Versorgen geht das Tier nicht in neues Eigentum über!
Um ein Wildtier handelt es sich dann, wenn das Tier von einer wildlebenden Art ist und frei draußen herumläuft (z. B. Fuchs). Auch Streunerkatzen stammen von der domestizierten Hauskatze ab, ihre Vorfahren hatten alle einmal Menschen, zu denen sie gehörten. Damit sind und bleiben sie Haustiere, auch wenn sie verwildern. Das sehen auch verschiedene Gerichte so (vgl VG Münster – 1 L 1290/15, OVG Nordrhein-Westfalen – 5 B 1265/15 ). Zumal es – ohne das Tier und sein Verhalten näher zu kennen – auch oft unmöglich sein dürfte, zu erkennen, welches Tier nun wirklich Streuner, Freigänger oder sonstiges ist.
Der Tierschutz ist seit 2002 sogar im Grundgesetz (§20a) festgeschrieben. Herumstreunen, Leiden und Sterben – egal, welchen Tieres – kann sogar als „Störung der öffentlichen Ordnung“ eingestuft werden (vgl OVG Mecklenburg-Vorpommern – 3 L 272/06, VG Gießen – 7 E 358/92, VG Stuttgart – 4 K 29/13). Damit wären die Gemeinden und Behörden zur Hilfe verpflichtet – selbst, wenn es sich dabei „nur“ um Streuner handelt.
Fundtiere vs. Abgabe- und sichergestellte Tiere
Darüber hinaus gibt es auch immer wieder Verwechslungen mit Abgabe- und Unterbringungs- bzw. Verwahrtieren: Eine Pflicht zur Unterbringung oder Versorgung von Abgabetieren (Mensch kann / möchte eigene Katze nicht mehr halten) besteht übrigens nicht! Weder für die Gemeinde, noch für Tierheime. Da die Gemeinde den Tierheimen dafür auch keine Kosten erstattet, nehmen viele Tierheime und Tierschutzvereine dafür eine Abgabegebühr. Es bedeutet aber auch, dass das jeweilige Tierheim selbst entscheidet, wann und ob es Abgabetiere aufnimmt und es einen Aufnahmestopp verhängt. Ein solcher Aufnahmestopp gilt dann auch nur für Abgabe – jedoch nicht für Fundtiere!
Unterbringungstiere sind zum Beispiel jene Tiere, die durch das Veterinäramt beschlagnahmt oder andere Behörden in Obhut genommen werden (Beispiele: §16a und §19 TierSchG). In der Regel zahlt die Kosten der Unterbringung und Versorgung dann der Eigentümer, dem das Tier weggenommen wurde. Zumindest in dem Zeitrahmen, in dem das Tier rechtlich noch ihm gehört und nur durch die Behörde „verwahrt“ wird.
Finder ist auch zur Verwahrung verpflichtet – im schlimmsten Fall sogar zur Haftung
All dieses Wissen nützt jedoch nichts, wenn die zuständigen Stellen mauern und sich einfach rundheraus weigern, Fundtiere zu versorgen. Rechtlich in Ordnung ist das nicht, aber Dienstaufsichtsbeschwerden und Gerichtsverfahren dauern. Den Tieren ist damit ohnehin nicht geholfen: Sie müssen in der Zwischenzeit untergebracht und versorgt werden.
Paragraph 966 BGB jedenfalls verpflichtet den Finder zur Verwahrung (was auch den Rat zum Aussetzen des Katers zu einem rechtswidrigen Rat macht!). Zusätzlich dazu ergibt sich aus § 968 BGB eine Haftungspflicht bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, sollte die Fundkatze in Obhut des Finders Schäden verursachen oder selbst zu Schaden kommen..
Mein persönliches Resümee
Der Dank in diesem Fall geht an die Tierhilfe Bochum e.V., dessen Pflegestelle sich ohne Brimborium bereit erklärt hat, den Kater aufzunehmen und ihn liebevoll zu versorgen! Ebenfalls danke an Mel von der Katzenhilfe Uelzen für ihre telefonische Unterstützung und die Vermittlung des rettenden Kontakts!
Wie soll ich weiterhin rechtfertigen, nicht wegzuschauen?
Mir war vor diesem Fall und der Recherche dazu nicht bewusst, wie verbreitet Probleme bei der Versorgung von Fundkatzen sind. Dass es quasi gelebte Praxis ist – obwohl rechtlich anders geregelt – erschüttert mich. Und macht wütend. Für Tierschützer*innen und Finder*innen von Fundkatzen ist das mehr als unbefriedigend. Für all jene Menschen, die ihre Katzen schmerzlich vermissen, ist es gar ein Schlag ins Gesicht.
Wir alle wissen: Städte und Gemeinden sind fast alle chronisch pleite. Tierheime arbeiten ebenso ständig am Rande des finanziellen Kollapses. Auch jene Tierheime, die durch einen Vertrag mit der Stadt die Aufnahme von Fundtieren übernehmen und dafür finanzielle Zuwendungen erhalten. Denn in der Regel zahlen die zuständigen Gemeinden nur nicht kostendeckende Pauschalen (.pdf-Download).
Dennoch kann und darf es nicht sein, dass Bürger*innen und der ehrenamtliche Tierschutz den Karren aus dem Dreck ziehen sollen! Und die Gemeinden sich gemütlich darauf ausruhen und ihre Probleme abwälzen. Es ist auch nicht Schuld von Finder*innen, wenn das Tierheim schlecht über Pauschalen verhandelt oder mit seiner Aufgabe überfordert ist! Schließlich gibt es durchaus Beispiele, die zeigen, dass es anders geht (Beispiel TSV Bremen (.pdf-Download) )
Auch die Politik hinkt meilenweit hinterher. Statt allen Beteiligten verbindliche, aber einfach umzusetzende Regelungen an die Hand zu geben, ignoriert sie das Problem seit Jahren. Ein neuer Vorstoß fordert bundeseinheitliche Regelungen – hoffen wir, dass dieses Mal etwas Hilfreiches dabei rauskommt.
Denn nicht jede*r kann und will „mal eben“ fremde Tiere beherbergen, versorgen und damit den Gemeinden ihre Verpflichtungen abnehmen. Zahlreiche Gründe können dagegen sprechen – auch rechtliche. Wer damit rechnen muss, alle Kosten selbst zu tragen und sich obendrauf noch Unsicherheiten und Unannehmlichkeiten ins Haus zu holen, geht wohl lieber mit zugekniffenen Augen durch die Straßen der Nachbarschaft.
Mir bleibt nur die Frage, wie ich es zukünftig rechtfertigen soll, euch anzuhalten, beim Katzenelend vor eurer Tür nicht wegzusehen. Euch um hilfebedürftige Katzen zu kümmern. Wie, wenn ich weiß, dass ihr damit an vielen Stellen allein gelassen werdet, Kosten alleine tragen und im Zweifelsfall sogar für Schäden durch eure Fundkatze haften müsst?
Ich weiß es ehrlich nicht. Ein passender Abschluss für eine Chronologie der Enttäuschungen…
Verhaltens- & Ernährungsberaterin für Katzen, Bloggerin
Miriam steht für die artgerechte Katzenhaltung. Mit ihrem Herzensprojekt katzen-fieber.de sensibilisiert sie seit über 13 Jahren für kätzische Bedürfnisse. Mit Online-Magazin, Vorträgen, Webinaren und Büchern vermittelt sie einfach verständliches Wissen. Individuelle Beratung rundet das Konzept ab. Für ein harmonisches Zusammenleben zwischen Mensch und Katze!
Guten Morgen Miriam,
wow, wenn Dich ein Thema bewegt, und Du dann recherchierst!
Ich bin echt platt, irritiert, frustriert, und fühle mich aber nach dem Lesen bestätigt, dass wir weiterhin immer einen Vorrat an elastischen günstigen Katzenhalsbändern mit Adressanhänger für unsere drei grauen Freigängerinnen im Haus haben sollten. Denn schon so manches mal kamen sie ohne Halsband nach Hause. Aber ich war mir schon von Anfang an sicher, dass ein Chip nicht reicht – was Du durch all‘ die Irrungen und Wirrungen ja hier wirklich gut zeigst. Zumal es am Wochennede ja wohl fast unmöglich ist einen Halter herauszufinden. Daher haben wir auf dem kleinen ‚Beipackzettel‘ im Adressanhänger neben der Anschrift und Telefonnummer auch das Kastrationsdatum und die Telefonnummer unseres Tierarztes vermerkt. So hoffen wir zumindest, dass man eher Kontakt zu uns aufnehmen kann …
Aber in dem vo Dir geschilderten Fall, läuft ja auch bei der halterin schon so einiges schief. Da kann man ja fast nur hoffen, dass er irgendwann die Bude richtig schön vollspritzt. Aber im schlimmsten Fall wird er dann ja wohl einfach vor die Tür gesetzt :-((
Nachdenkliche Grüße schickt Silke