Menschliche Gedankengänge passen nicht in den Katzenkopf
"Dankbarkeit" ist ein moralisches, theoretisches Konstrukt. Die Katze teilt aber die menschliche Moral nicht. Es ist einfach nicht ihre Natur. Um Dankbarkeit im eigentlichen Wortsinne verspüren zu können, müsste ihr klar sein, dass ihr neuer Halter es war, der sich bewusst dazu entschieden hat, sie ins neue Zuhause zu holen. Und dass Futter, Sauberkeit, Gesundheit usw. ab sofort nur noch von seinem guten Willen abhängig ist.
Sie müsste verstehen, dass die zunächst äußerst negativen Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Umzug (Stress, Angst) auf lange Sicht nur dazu führen sollen, dass sie sich besser fühlt. Dazu müsste sie also entweder vorrausschauend positiv denken oder im Nachgang neutral über ihre Situation reflektieren können.
Zuwendung zu genießen und Vertrauen zu fassen ist keine Dankbarkeit. Es ist eine normale Reaktion, wenn positive Reize von außen längerfristig den negativen überwiegen. Dazu braucht es keine Moral und keine verschlungenen Gedankenwege. Auch, wenn beides von außen gleich interpretiert werden kann, kann sich die Idee der "Dankbarkeit" auch schnell in Negative verkehren:
Auch positive Vorurteile haben negative Folgen
"Dankbarkeit" hat in unseren menschlichen Köpfen immer einen Grund: eine schlechte Situation, aus der man Jemandem heraus hilft. Der Gedanke von der dankbaren Tierschutzkatze fußt also auch immer unweigerlich auf dem Grundgedanken, dass sie es in ihrem bisherigen Leben ausschließlich schlecht hatte. Das mag auf Straßenkatzen, manche Auslandstiere und misshandelte Tiere zutreffen.
Es ist jedoch ein Trugschluss, dass Katzen es in deutschen Tierheimen ungemein schlecht hätten. Tatsächlich werden sie dort oft besser gehalten und versorgt als in so manchem privaten Zuhause. Besonders in den letzten Jahren hat sich enorm viel in der "Rundum-Sorglos"-Versorgung im deutschen Tierschutz getan!
Wer Tierschutzkatzen also pauschal Dankbarkeit unterstellt, unterstellt auch gleichzeitig indirekt den Tierschutzmitarbeitern schlechte Arbeit. Ein Bärendienst!
Das Vorurteil von der Dankbarkeit als Abgrenzung kann nach hinten los gehen
Wer so betont, dass Tierschutzkatzen dankbar seien, grenzt damit alle anderen Katzen ebenso pauschal als "undankbar" ab. Eine sehr negative und ungerechtfertigte Assoziation. Jede Katze, egal woher sie kommt, genießt gute Haltung und Zuwendung. Wie sehr sie diese Zuwendung zeigen kann, hängt auch von ihrer Vergangenheit, ihrem Charakter ab. Eine Katze, die weniger extrovertiert ist, ist nicht weniger "dankbar".
Hinzu kommt, dass eine solche Betonung der Dankbarkeit auch zu der Schlussfolgerung führen könnte, Tierschutzkatzen hätten es "nötig" besonders toll herausgestellt und vorteilhaft beschrieben zu werden. Ausdrückliche Hervorhebung und positive Vorverurteilung wirken in den Köpfen vieler Menschen aber wie marktschreierische Werbung: "Da muss doch ein Haken sein?"
Positive Vorurteile wecken Erwartungshaltungen
Richtig unschön wirds dann, wenn Dankbarkeit erwartet wird. Oder positive Veränderungen. Einfach nur, weil man die Katze "gerettet" hat. So funktioniert das bei der Katze aber nicht. Bei der Aufnahme eine Tiers – egal, ob Hund, Katze aus dem Tierschutz oder nicht – kann das leider schnell übel enden. Und das tut es auch nicht selten.
Die Katze ist im neuen Zuhause immer noch sie selbst. Sie schleppt ihr Päckchen auch ins neue Zuhause mit und wird sich nicht auf wundersame Weise urplötzlich so verändern, wie der neue Halter das wünscht. Dann setzt nicht selten Enttäuschung oder gar Wut ein. Folge davon kann eine Abgabe des Tiers wegen Überforderung sein: das Tier wird zum Wanderpokal. Damit ist Keinem geholfen.
Manche Menschen assoziieren "Dankbarkeit" auch oft mit "Macht alles mit" oder "Stellt weniger Ansprüche". Auch solche Gedanken sind ungerecht und egoistisch.
Die Moralkeule erzeugt Druck
"Tierschutzkatzen sind dankbar" soll oft nichts anderes als "Die haben es nötig" bedeuten. Heißt im Endeffekt auch "Wenn du dich dagegen entscheidest, ist dir ihr Leid egal". Das ist in vielen Fällen nicht nur grundfalsch, es erzeugt auch Druck. Druck, sich vielleicht zum falschen Zeitpunkt oder aus den falschen Gründen für die Aufnahme einer Tierschutzkatze zu entscheiden. Quasi aus Gruppenzwang. Man will ja schließlich kein schlechter Mensch sein…
(Falsches) Mitleid führt zum "Helfersyndrom"
Es gibt Menschen, die sich mehr von Emotionen als von Vernunft leiten lassen. Dann wird die x-te Tierschutzkatze "gerettet", weil sie ja so arm dran ist. Dass zuhaus schon längst kein Platz und Geld mehr ist, um allen Tieren gerecht zu werden, wird dann nicht selten verdrängt. Darunter leiden Tier und Mensch. Es ist unfair und verantwortungslos. Wer lernt, keine Moral-Gedanken in den Kopf der Katze zu projizieren und mit weniger Emotionen an Entscheidungen heranzugehen, trägt Sorge für alle Beteiligten und begibt sich nicht so schnell in Situationen, die über den Kopf wachsen.
Jede Katze ist individuell und sollte auch so behandelt werden
Tierschutzkatzen sind nicht mehr oder weniger "dankbar" als andere Katzen. Egal, woher die Katze kommt: sie hat ein Anrecht darauf, gut gehalten zu werden. Alle Katzen sind auf ihre Art liebenswert und haben es verdient, ein gutes Zuhause zu bekommen. Da braucht es keine konstruierten Vorverurteilungen von "Dankbarkeit", um sich als "Retter" selbst auf die Schulter klopfen zu können. Wir sollten jede Katze so nehmen, wie sie ist und ihr das bestmögliche Zuhause bieten. Dazu brauchen wir keine gut gemeinten Vorurteile schüren und Menschen falsche Erwartungen suggerieren.
Keine Katze wird sich nach unseren Erwartungen richten, weil wir meinen, wir hätten mit ihrer Aufnahme etwas Gutes getan. Stattdessen sollten wir nach dem "Ist-Zustand" urteilen, ob eine Katze zu uns, in unser Zuhause passt. Und das, egal, woher sie kommt. Zuwendung, Arbeit, Nerven und Geld kosten alle. Manche mehr, manche weniger. Manche passen besser zu uns, manche gar nicht. Das ist aber vollkommen unabhängig von ihrer Herkunft oder Vergangenheit. Daran ändern auch keine Fotos von Kulleräuglein und gephotoshopten Tränchen etwas. Auch nicht die herzzerreißende, tragische Lebensgeschichte.
Wer sich subjektiv nicht dazu in der Lage sieht, spezielle Bedürfnisse der Katze zu erfüllen, ihr die Unterstützung zu bieten, die sie braucht, tut gut daran, sich gegen eine Aufnahme zu entscheiden. Egal, welchen emotionalen Druck uns Vorurteile von "Dankbarkeit" oder "arm dran" machen.
Verhaltens- & Ernährungsberaterin für Katzen, Bloggerin
Miriam steht für die artgerechte Katzenhaltung. Mit ihrem Herzensprojekt katzen-fieber.de sensibilisiert sie seit über 13 Jahren für kätzische Bedürfnisse. Mit Online-Magazin, Vorträgen, Webinaren und Büchern vermittelt sie einfach verständliches Wissen. Individuelle Beratung rundet das Konzept ab. Für ein harmonisches Zusammenleben zwischen Mensch und Katze!
Hallo, passt vielleicht nicht zum Thema, aber mich würde interessieren, ob ein Leben im Tierheim für Katzen wirklich lebenswert ist. Auf mich wirken Tiere im Tierheim, als hätten sie sich aufgegeben, deprimiert. Die Anspruchshaltung des Tierheimpersonals an potentielle Interessenten im Vergleich zu diesem eingesperrt sein, verstehe ich nicht.
Da ist eine Straße in Sichtweite ein Grund, eine Katze weiter eingesperrt zu lassen. Nicht los lassen können ist in meinen Augen auch nicht im Sinne des Tierwohls. Da haben wohl beide Seiten der Medaille room for improvement.
Hallo Heike!
die Frage ist interessant, lässt sich aber meiner Erfahrung nach nicht pauschalisieren. Ob ein Tier im Tierheim leidet, hängt wohl extrem davon ab, was genau seine Bedürfnisse sind und ob die gut erfüllt werden. Meiner Erfahrung nach hat sich in den Tierheimen diesbezüglich in den letzten Jahren sehr viel getan – auch für die Katzen. Ich kenne so einige Tierheime, in denen es Katzenschmuser, Katzenbespaßer und Katzenvorleser gibt. In solchen Fällen gibts also nicht nur die Grundversorgung (Futter, Klo) sondern auch Kuscheln, Spielen, Aufmerksamkeit. In manch anderem Tierheim ist dieses Repertoire geringer. Aber die Tierpfleger*innen geben trotzdem ihr Bestes.
Da gibt es natürlich einzelne Tiere, die extrem menschenbeszogen sind, die extrem stressanfällig sind. Die leiden natürlich durchaus schon unter den Tierheimbedingungen. Ich erlebe oft, dass Tierheime dann den Weg gehen, diese „Spezialfälle“ auf Pflegestellen betreuen zu lassen, damit das Tier etwas zur Ruhe kommt und nicht so viel Vermissen muss.
Kurz: Meiner Erfahrung nach ist Tierheim durchaus eine Ausnahmesituation, in der die meisten Tierheime aber gute Betreuung anbieten. Für einige Tiere kann das dennoch sehr belastend sein.
Was die „Anspruchshaltung des Tierheimpersonals“ angeht, hatte ich mal einen Blogartikel geschrieben: „Die wollen gar nicht vermitteln“ – die andere Seite der Medaille. Auch hier kurz: Nicht alles, was nach außen hin überzogen wirkt, ist es auch – und natürlich hält sich Jeder für geeignet, ein Tier aufzunehmen. Ist es aber nicht in allen Fällen. Aber klar gibts auch hier Vereine /Tierheime, die es wirklich „übertreiben“. Wobei ich mich da immer frage, welch schlimme Erfahrungen mit Menschen sie machen mussten, um so „streng“ zu werden.
Dankbar ist vermutlich kein guter Begriff. Meinen Erfahrungen nach wissen sie ein schönes Zuhause und eine gute Versorgung aber sehr zu schätzen und zeigen dies auch. Es kommt sicher auf die eigenen Ansprüche an: Was erwarte ich von (m)einem Tier? Klar freue ich mich, wenn mir meine Tiere zeigen, dass ich für sie eine angenehme Gesellschaft bin. Ich bekuschele gerne die kleinen Fellträger. Derzeit habe ich einen Kater (als Zweitkater – natürlich keine Einzelhaltung!), der sich (noch?) nicht anfassen lässt. So what? Er zeigt mir Zuneigung indem er frisst, spielt, sich putzt, die Welt erkundet, sich in meinen Klamotten ahlt, sich in meiner Nähe aufhält und entspannt dort einschläft. Ein echtes Kompliment, was ich mir durch Respekt und Ruhe erarbeitet habe 🙂
Selbst wenn er sich nie anfassen lasssen sollte, bin ich ein glücklicher Mensch, dass er sein Leben bei mir lebt.
Katzen sind geborene Herrscher, Götter. Wir sollten dankbar sein, wenn sie uns retten. 😉
Eine sehr sehr gute Sichtweise 😉 😀
Ein interessanter Artikel, der nachdenklich macht. Ich denke auch nicht, dass Katzen aus dem Tierheim dankbar sind oder sein können. Insgesamt gilt: Egal, wo das Tier herkommt, ist es schön, ihm ein angenehmes Leben bieten zu können. Und ob sich mein Kater auf dem Sofa an mich schmiegt, weil er mir dankbar ist oder weil er mich als warmes Kissen schätzt, ist eher nebensächlich. 😉
Liebe Miriam,
das Thema hast du spitzenartig beschrieben, alle Facetten beleuchtet, einfach supergut, danke! Bin ganz deiner Meinung.
Allerdings könnte ich diesen süßen Fratz auf dem Foto sofort mitnehmen – gefühlsmäßig. Aber ich weiß, dass meine beiden Tiger keinen neuen dulden würden – eben Verstand eingeschaltet, obwohl es sehr, sehr schwer fällt. Ich weiß noch, wie wir eine Katze aus dem Tierheim holen wollten, weil unsere gestorben war (mit 20 Jahren!) Mit nach Hause gebracht haben wir dann 2 kleine Kater. Aber es war so ein blödes Gefühl, aus all den Kätzchen „nur“ zwei auszusuchen.
Herzliche Grüße
Ursel